Ylvi Walker – Candlelight & Fegefeuer Leseprobe

Candlelight
&
Fegefeuer
– Leseprobe –

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Ylvi Walker
Copyright © 2015 Ylvi Walker
Umschlaggestaltung & Illustrationen: Ylvi Walker
Lektorat: Kyra Dittmann/ http://www.plotbox-koeln.de/
Korrektorat: Sonja Frühsorge, Silke Aps
All rights reserved.

Sämtliche Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und unbeabsichtigt.

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Kapitel 1

„Vos invocamus, o vires tenebrarum!
Vos adjuramus!
Aures nobis praebeatis, in nomine summi magistri, Luciferi maximi.
O spiriti naturae rerum, o vis terrae et aeris, o vis aquarum et ignis, auxilium ferte, ut eum adjuremus!
Invocamus et adjuramus te, o Belial!
Complere mentes nostras tua scientia, da nobis opis tuae.
Corpora animasque nostri tibi offeremus!
O Belial! Appare nobis!
Invocamus et adjuramus te!
Prodi ex umbris inferorum.“

Zum tausendsten Mal lauschte Luzifer dem Singsang, mit dem die haarlosen Äffchen versuchten, einen Dämon aus der Hölle zu beschwören. Er war es leid. Der Junge aus den Südstaaten vergewaltige die lateinische Beschwörungsformel derart, dass nicht einmal ein niederer Dämon gehorchen müsste.
Die fünf jungen Menschen hatten sich um ein rundes rotes Altartuch verteilt. Sie saßen auf dem Boden und hielten sich an den Händen. Es sah eher nach einem Gruppenkreis im Kindergarten aus, als nach einem dämonischen Beschwörungsritual. Keiner der Teilnehmer wirkte auch nur annähernd volljährig. Der Sprecher nuschelte, vermutlich wegen der festen Zahnspange, die er trug. Pickel übersäten sein Gesicht wie einen Streuselkuchen. Die zwei anwesenden Mädchen tuschelten und kicherten die ganze Zeit über.
Warum tat er sich das an?
Weil er nichts Besseres zu tun hatte. Womöglich sollte er ihnen eine Lehrstunde erteilen? Er ließ seinen Blick durch das Wohnzimmer streifen. Hübsch, aber äußerst schlicht eingerichtet.
Auf dem Altartuch mit dem Drudenfuß stand eine Metallschale, in die der beschwörende Junge sein Blut aus seiner Handfläche träufelte. Sehr interessant. In der anderen Hand hielt er ein kurzes Schälmesser mit giftgrünem Griff. Sollte das ein Scherz sein?
Das war mit Abstand das stümperhafteste Ritual, das ihm je unter die Augen gekommen war. Nicht einmal einen Ritualdolch hatte der Vollhonk benutzt. Selbst die Ritualschale stammte aus der Küchenabteilung des Supermarkts.
Wen wollte er mit der Zeremonie beschwören? Die Küchenfee?
Leider nicht! Sie versuchten, einen gefährlichen Dämon wie Belial zu beschwören. Dumm! Hochmut kam ja bekanntlich vor dem Fall. Sie hatten jedoch Glück im Unglück.
Belial war gerade außer Dienst, nett ausgedrückt. Luzifer hatte ihn vor dreißig Jahren gefeuert, da dieser größenwahnsinnige Sohn einer Höllenhündin einen hirnverbrannten Sektenguru besetzt hatte und mehrere hundert Anhänger in den Suizid trieb. Dämonischer Unfug, das Handeln mit Seelen, das war eine Sache, aber solche Dinge konnte Luzifer nicht dulden! Es zog ungeliebte Aufmerksamkeit auf das Böse in der Welt und trieb die Gläubigen fester in den Schoß der rechtschaffenen Kirchen.
Belial würde zum Glück für diesen Idioten, der ihm so bereitwillig seinen Körper anbot, nicht auftauchen. Er saß in einem Kerker, tief in der Unterwelt, gepeinigt von seinen eigenen Qualen und gemartert, von den Seelen, die er in den Tod getrieben hatte.
Das Besetzen von Körpern war auch nicht Luzifers Ding. Er mochte seine eigene Hülle, die recht anziehend aussah. Schließlich war er in grauer Vorzeit ein Engel gewesen. Attraktiv und anders, als die der meisten seiner Diener. So ein hässliches Biest wie Belial ließ einem unverzüglich das Mittagessen hochkommen. Allein bei dem Gedanken daran drehte sich ihm der Magen um. Tag ein, Tag aus, musste er sich mit dem Fratzengulasch auseinandersetzen, welches das Schattenreich bevölkerte. Luzifer war es leid! Da kam ihm eine kleine Beschwörung gerade recht.
Das Räucherwerk, das der Junge abfackelte, war eine Zumutung für seine Nase und Augen. Luzifer war einiges gewöhnt, der Hölle sei Dank. Der balsamisch-süße Duft des Drachenblutharzes biss sich mit dem Aroma nach Tannenholz. Eine weitere Duftnote konnte er nicht zuordnen, doch es stank, als würde der Bengel Katzenfutter verkokeln. Der Qualm brannte in den Augen.
»Gott, Justin!« Einer der Jungs hüstelte und tippte dem Ritualleiter an die Schulter. »Das klappt nicht und es stinkt wie Sau. Ich bekomme kaum noch Luft, mein Asthma.« Ruckzuck stand der Junge auf und floh in den Nachbarraum. Schade, es fehlte lediglich ein kleiner Teil des Rituals, um Luzifer eine achtundvierzig Stunden Greencard auf der Erde zu gewähren. Sein Astralkörper war schon in der Welt der Menschen, doch sein Leib brauchte noch den Abschluss der Beschwörung. Ohne diese konnte er nur einen kurzen Geisterspaziergang unternehmen, es sei denn, er nahm den Körper von Justin in Besitz.
Nein, so nötig hatte er es wahrlich nicht. Sein Stolz verbot es ihm.
Die Frau, die in den Raum stürzte und das Licht anknipste, jagte nicht nur den Teenies einen Heidenschrecken ein.
»Was zur Hölle macht ihr?« Sie schürzte ihre kirschrot geschminkten Lippen, lief schnellen Schrittes auf den Altarteppich zu und warf ihn über die Kerzen und die Schale. Augenblicklich erstickten die Flammen.
Unwissend hatte die schöne Fremde das Ritual zu Ende geführt. Er war ihr zu Dank verpflichtet. Obwohl … gegenwärtig wollte er lieber nicht mit ihr sprechen oder gar in der Haut des Jungen stecken. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und tippte mit dem Fuß auf den Boden auf. Der eiserne Blick aus ihren Bernsteinaugen ließ ihn frösteln. Ihr rotblondes Haar trug sie in einem strengen Knoten zurückgesteckt. Er mochte tonangebende Frauen, solange sie ihre Dominanz nicht an ihm auslebten. Sie sah aus wie die perfekte Foltermagd des Fegefeuers. Ihre weiblichen Rundungen steckten in der Uniform eines Fastfood-Restaurants. Selbst die unförmige Bekleidung tat ihrer Ausstrahlung keinen Abbruch. Mit Bedauern stellte er fest, dass sein Astralkörper davontrieb zu seiner fleischlichen Hülle. Leider ein entscheidender Nachteil des schlecht durchgeführten Rituals. Er würde irgendwo am Arsch der Welt auftauchen, weit weg von der reizvollen Menschenfrau. Hastig versuchte er, sich einige Details einzuprägen. Auf dem Wohnzimmertisch lag ein Brief. W. Meyers, 8811 W Monroe St in Peoria, Arizona stand auf dem Umschlag. Südstaaten – das hatte er beim Akzent des Teenagers bereits vermutet. Die Schönheit sprach jedoch akzentfrei. Er musste sie wiedersehen. Dieser Entschluss stand felsenfest.

***

Mary-Margaret biss sich auf die Unterlippe und verschränkte die Arme vor der Brust, damit sie nicht in Versuchung kam, dem Jungen Vernunft einzuschütteln. Ihr Neffe trieb sie zur Weißglut. Der Fünfzehnjährige war ein Teufel, wie er im Buche stand. »Was soll das hier? Veranstaltest du eine schwarze Messe?« Seine hochreligiöse Mutter würde toben, wenn sie davon erfuhr. »Es stinkt!« Sie riss die Terrassentür auf. Die Luft, die hereinströmte, fühlte sich kühl und trocken an. Sie hasste das Wüstenklima in Peoria. Nur nachts konnte sie es aushalten, tagsüber brachte die Hitze sie um den Verstand. Es war keine freiwillige Entscheidung gewesen, zu ihrer Schwägerin zu ziehen. Vom gemäßigten Klima ihrer Heimatstadt Michigan in das Höllenklima Arizonas. Zuerst hatte sie ihren Job als persönliche Assistentin bei der renommierten Werbefirma Smith & Jamsons verloren. Das Unheil kam immer im Großpack. Keine zwei Wochen später erwischte sie ihren langjährigen Lebensgefährten Jensen in flagrante bei einem Schäferstündchen mit einem Mann. Das Schicksal liebte es, sie zu demütigen, doch es war noch lange nicht fertig, mit seinen Plänen für Mary-Margaret. Jensen hatte die gemeinsame Wohnung anstandslos geräumt und sie mit der Miete allein gelassen. Sie hielt sich mit drei Gelegenheitsjobs über Wasser, die weit unter ihrem Niveau lagen.
Alles für die Katz!
Vor einem Monat hatte ihr Nachbar von obendrüber beschlossen, seinem Leben ein Ende zu setzen. Der arme Wicht hatte das Gas ausströmen lassen, bevor er sich eine Zigarette gönnte. Als sie nach Hause kam, wurde sie von flackerndem Blaulicht begrüßt. Von dem Gebäude war nur noch Schutt und Asche vorhanden. Sie saß auf der Straße. Ihr war nichts anderes übrig geblieben, als bei Winona, der Frau ihres verstorbenen Bruders, und deren halbwüchsigem Sohn Justin Unterschlupf zu suchen. Ihre Eltern lebten seit einigen Jahren nicht mehr. Ihre Schwägerin war die Einzige, die ihr ein Dach über dem Kopf gewährte. Das gebot Winona die Nächstenliebe. Als gute Christin musste sie Menschen in Not helfen. Besonders, wenn das Schäflein vom rechtschaffenen Pfad der Tugend abgekommen war. Mary-Margaret lebte und verschanzte sich nicht hinter hochgeschlossenen Blusen, Rosenkränzen und Glaubensbekenntnissen.
Mary-Margaret warf einen Blick auf das Chaos, das Justin angerichtet hatte. Seine Freunde hatten sich inzwischen davongestohlen. Der Junge war ein Rotzlöffel! Auf dem weißen Teppich prangte ein dunkler Fleck, wo die Hitze der Räucherschale die Fasern verschmort hatte.
Winona würde toben! Und weil der liebe Justin solche Dinge ja nie aus freien Stücken anstellte, würde Winona es seinem schlechten Umgang aus der Schule oder gar ihr in die Schuhe schieben. Der Teenager konnte ein wahrer Satansbraten sein.
»Au Backe!« Sein Gesicht verfärbte sich käsebleich. »Und jetzt?«
»Ruf beim Teppichhändler an und frag, ob er dir innerhalb von sechs Stunden unentgeltlich einen neuen Teppichboden verlegt«, antwortete Mary-Margaret bissig. Sie war nicht sein Kindermädchen und er mit fünfzehn alt genug, um für seine Missetaten einzustehen.
»Das ist nicht witzig.« Justin wirkte verschnupft. »Wenn Mom morgen früh von ihrer Schicht im Krankenhaus nach Hause kommt, dann gibt es Stress. Für uns beide.«
»Bitte?« Diese Rotznase war wirklich unverschämt.
Der Bengel grinste listig. »Du bist das schwarze Schaf in unserer lustigen Herde.«
»Soll ich dich übers Knie legen? Ärger mich nicht. Du kannst nur verlieren.« Sie blickte ihn durchdringend an. Justin sackte unter ihrem Blick winzig klein zusammen und seufzte.
»Du weißt, was Mom anstellt, wenn sie das spitzkriegt. Sonntagsschule für ein ganzes Jahr oder Schlimmeres. Sie droht mir, mich in die Bourgade Catholic High School in Phoenix zu stecken. Ich will nicht von Peoria weg! All meine Freunde sind hier«, rief er aufgebracht. Winonas religiöser Eifer war geradezu fanatisch und Justin rebellierte dagegen. Das normale Verhalten eines Teenagers.
»Dann benimm dich!« Mary-Margaret schloss sie Augen und rieb sich über die Nasenwurzel. In pochenden Wellen attackierte die Vorstufe einer ausgewachsenen Migräne ihre Stirn. »Versuch es zumindest. Geh zum Drugstore und kauf Bleiche.« Sie drückte ihm einen Zwanzig-Dollar-Schein in die Hand. »Und eine Flasche Whiskey für mich.«
»Ich bin fünfzehn.«
»Das war ein Scherz. Beeil dich! Ich kümmere mich um die Unordnung und lasse den anderen Kram verschwinden.«

***

»Ey, Mann! Wie wäre es, wenn du dir etwas überwirfst?«, rief ihm ein Biker lachend zu.
Sein Karma war ihm wie immer hold. Er tauchte mitten in einer belebten Stadt auf, nackt, wie ihn Gott erschaffen hatte. Die Blicke der zahlreichen Nachtschwärmer ließen ihn kalt. Er musste sich wahrlich nicht verstecken.
»Alter, zieh dir was über!«, rief einer dieser Affen. »Ich krieg das Grausen, wenn du deinen Alabasterkörper hier zur Schau stellst.«
Während der Großteil der Meute schon wieder von dannen zog, blieben einige stehen. Er ging auf eine Gruppe von Männern zu, die ihn feixend beobachteten.
»Wo bin ich hier?«
»Central City von Phoenix«, erwiderten sie im Chor. »Was bist denn du für einer?«
»Das würdest du mir eh nicht glauben. Ich brauche Kleidung.«
Schallendes Gelächter brach aus. Dafür fehlte ihm die Zeit! Ihm blieben nur achtundvierzig Stunden, um die Schönheit zu finden und sie näher kennenzulernen.
»Die Jeans, dein Shirt, seine Lederjacke und deine Schuhe, aber pronto!«, sagte er und erntete Belustigung.
Die Menschen heute waren respektlos und zeigten kein Mitgefühl. »Das war keine Bitte, sondern ein Befehl. Zieht euch ganz aus.« Er legte all seine teuflische Macht in die Worte. Ein angenehmes kleines Feature, das sie willenlos gehorchen ließ.
Umgehend begannen die Affen, sich zu entkleiden. Er hatte es auf die nette Art versucht, doch wenn sie lieber gezwungen wurden, dann hatte er damit kein Problem. Als kleinen Seitenhieb ließ er sie sich komplett ausziehen. Es würde ihnen eine Lehre sein. Er bediente sich an dem Haufen Kleider, der vor den nackten Männern lag, und zog sich an. Es entsprach nicht seinem üblichen Kleidungsstil, doch im maßgeschneiderten, italienischen Anzug konnte er dieser Tage nur noch bei wenigen Damen punkten. Die Frauen von heute standen auf den verwegenen Revoluzzer und wollten keinen Geschäftsmann. Na ja, das stimmte nur bedingt. Sie wollten den erfolgreichen Geschäftsmann zu Hause, damit er die Rechnungen berappen konnte, doch den Draufgänger in der Kiste. Die modernen Ladys stellten für ihn ein Buch mit sieben Siegeln dar. Die Klamotten passten und er sah darin sicher ausgezeichnet aus, auch wenn es sich dabei um eine Nebensache handelte. Die Uhr tickte.
»Habt ihr ein Fortbewegungsmittel?«
»Wir sind mit dem Taxi hier, aber Jeff hat sein Bike um die Ecke abgestellt«, antwortete einer der paralysierten Lemminge. Die fünf nackten Männer boten einen nicht minder lustigen Anblick, als er vermutlich wenige Minuten zuvor.
»Dann hätte ich gern den Schlüssel des Motorrads.«
»In der Hosentasche«, sagte der Mann, der ihm freundlicherweise die Jeans überlassen hatte.
Luzifer befühlte beide Taschen und fand einen Schlüsselbund. »Navi?«
Einer der Männer reichte ihm wortlos ein Smartphone. Luzifer nutzte die moderne Technik, auch als Herr der Unterwelt musste man mit der Zeit gehen. Doch so weit wie einige seiner Untertanen betrieb er den Hype nicht. Astaroth, einer seiner fleißigsten Seelenhändler, sprach bereits von Apps und Spielen, um neue Schäfchen für ihre Reihen zu rekrutieren. Was war aus dem guten alten Deal per Handschlag geworden?
Das Seelensammeln war bei seinem Untergebenen zu einem Wettbewerb mutiert. Anfangs hatte es ihn köstlich amüsiert, inzwischen interessierte es ihn kaum noch.
»Die Harley steht auf dem Parkplatz vor der Mall, eine Querstraße weiter.« Er hatte nicht danach gefragt, machte sich aber, dankbar für die Info, beschwingt ein Liedchen auf den Lippen pfeifend, auf den Weg. Diese Menschenfrau würde ihm eine willkommene Ablenkung zu seinem tristen Alltag in der Hölle bieten.

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Ich hoffe, ihr seid genauso neugierig darauf, wie es weitergeht, wie ich! Ich kann euch nur sagen – ich liebe Luzi und alle anderen Figuren, die Ylvi da erschaffen hat.