„Minki, raus aus der Küche!“
Mit einem großen Stück Putenfleisch im Maul sprang Minki auf den Küchenboden. Sie landete sanft auf ihren weichen Pfoten und flitze in Richtung Balkon. Sie hörte schnelle Schritte hinter sich.
„Wenn ich dich erwische!“
Minki kroch durch die Katzenklappe und sauste die Katzenleiter nach unten. „Ui, ist das kalt“, dachte sie und schüttelte sich.
In der Nähe hörte sie ein paar Kinder lachen.
„Hier draußen ist es doch viel zu kalt und zu nass um zu spielen“, dachte sie.
Auf dem geräumten Bürgersteig kam sie besser voran. Minki spazierte den Weg entlang, bis sie zu einem kleinen Pfad kam. Hier war der Schnee besonders hoch. Sie versank bis zu den Knien darin und beeilte sich, um zu Kater Carlos Versteck zu kommen. „Mit dieser Überraschung rechnet er bestimmt nicht“, dachte sie.
Umgeben von vielen Bäumen, die keine Blätter mehr hatten, stand eine große, alte Holzkiste. Vor dem Eingang ließ sie das Stück Fleisch fallen.
„Carlo!“, maunzte sie.
Keine Antwort.
Minki schlich um die Kiste herum. „Versteckt er sich wieder, um mich zu erschrecken?“, fragte sie sich. „Immer wenn ich vor Schreck aufspringe und wegrennen will, dann lacht er.“
Sie ging zu ihrem Lieblingsplatz in einem dichten Busch. Hier versteckten sie sich gerne und kuschelten miteinander.
Er war nicht da.
Der Wind war kalt, deshalb ging sie in die Kiste. Kuschelig warm eingerollt wartete sie auf ihren Freund.
Langsam wurde es dunkel.
„Wo kann er geblieben sein?“, fragte sie sich.
Minki sprang auf die Kiste und sah sich um. Dann hörte sie etwas. „Wer singt da?“, fragte sie sich. Wenig später hatte sie ein Vögelchen entdeckt. „Das ist Karla“, dachte Minki. „Die sieht von da oben bestimmt viel. Vielleicht weiß sie wo Carlo ist.“ Sie eilte in Karlas Richtung. Dann wurde sie langsamer und duckte sich. Ihr weißes Fell fiel im Schnee kaum auf. Unbemerkt schlich sie sich an Karla heran.
Diese sang ihr Lied und hüpfte auf den Ästen eines Busches hin und her.
Blitzschnell sprang Minki hervor. Mit ihren weichen Pfoten packte sie die Blaumeise und beide landeten im Schnee.
„Hilfe! Loslassen!“ Voller Panik schlug Karla wild mit den Flügeln. Erst jetzt erkannte sie, dass es Minki war, die sie festhielt. „Im Schnee ist es ganz kalt, kannst du nicht mit jemand anderem Fangen spielen?“, fragte Karla.
Minki ließ Karla los und diese flog schnell auf einen hohen Ast.
„Ich brauche deine Hilfe, Karla“, maunzte Minki.
„Wobei soll ich dir den helfen?“, fragte sie.
„Ich suche Carlo. Er ist sonst immer hier. Aber jetzt kann ich ihn nicht finden.“ Minki schlug unruhig mit ihrem buschigen Schwanz hin und her.
„Du hast es noch nicht mitbekommen?“, fragte Karla traurig.
„Was mitbekommen?“
„Carlo ist von einem Auto angefahren worden.“
„Oh nein!“, maunzte Minki, „Geht es ihm gut? Wo ist er?“
„Es kamen ein paar Menschen und haben ihn mitgenommen.“
„Bitte hilf mir. Ich muss zu ihm.“ Minkis Stimme klang verzweifelt.
„Von einer Freundin habe ich gehört, dass er jetzt eingesperrt ist. Du kennst doch das Katzenhaus?“
Minki schauderte. Hin und wieder wurden Katzen wie Carlo eingefangen. Die Menschen nannten sie ‚Streuner‘. Alle verschwanden im Katzenhaus und kamen nicht wieder.
„Danke Karla, ich muss sofort los.“
„Willst du wirklich dorthin? Du bist verrückt!“, zwitscherte sie.
„Er ist mein Freund, und ich muss wissen ob es ihm gut geht.“ Sofort machte sie sich auf den Weg. Mit großen Sprüngen huschte sie über die Straßen. Sie hetzte durch hohen Schnee und sprang über kleine Zäune.
Auf den Straßen war niemand mehr zu sehen. Es war bereits dunkel. Das silbrige Mondlicht mischte sich mit dem warmen Licht der Straßenlaternen.
Dann blieb Minki stehen. Sie konnte das Katzenhaus sehen. Ihr wurde ganz mulmig.
Das dunkle Haus wirkte unheimlich. Aus der Ferne konnte sie Licht in den Fenstern sehen.
Da hörte sie einen Vogel singen. Minki drehte sich um und sah Karla auf einem Ast sitzen.
„Was machst du hier?“, fragte sie erleichtert.
„Ich kann dich doch nicht alleine gehen lassen. Wer spielt mit mir Fangen, wenn ihr beide weg seid?“
„Du bist eine tolle Freundin“, maunzte Minki lächelnd.
Das letzte Stück zum Haus legten sie gemeinsam zurück.
Minki sah sich unsicher um. „Ich weiß nicht, ob ich über den kleinen Zaun springen soll. Lauert etwas in den schwarzen Hecken? Da war doch ein Geräusch, oder?“
„Ich sehe mich für dich um, warte hier.“ Karla stieg mit kräftigen Flügelschlägen in die Luft. Sie drehte einen Kreis um das Haus und beobachtete den schneebedeckten Garten. Alles war ruhig.
„Hier sieht alles normal aus. Spring ruhig über den Zaun, dahinter ist ein ganz normaler Garten.“
Das ließ sich Minki nicht zweimal sagen. Ein Satz und sie war auf der anderen Seite. Sie setzte sich vor ein beleuchtetes Fenster und horchte sich um. Wenn ein Mensch käme, würde sie schnell weglaufen.
„Carlo“, miaute sie, „hörst du mich? Geht es dir gut?“
„Minki?“
Sie hörte ein Maunzen von der anderen Seite des Fensters. Kurze Zeit später erschien Carlo. Er war ein großer Kater mit kurzem, schwarzem Fell. Er saß hinter dem Fenster und blinzelte sie an. „Es geht mir gut.“
„Was ist passiert?“, wollte Minki wissen.
„Ein Auto ist mir über den Schwanz gefahren, aber ein paar Menschen haben mich zu einem Arzt gebracht. Und jetzt kümmert sich hier jemand um mich. Zum Abendessen habe ich Thunfisch bekommen. Der war so lecker, so was habe ich noch nie gegessen.“
„Die Menschen dort kümmern sich um dich?“
„Ja, die sind alle lieb zu mir. Ich habe hier sogar eine Maus zum Jagen. Ein Weihnachtsgeschenk, haben sie zu mir gesagt.“
„Ach du Schreck! Jetzt habe ich dein Weihnachtsgeschenk ganz vergessen!“
„Du hast was für mich zu Weihnachten?“
„Ich habe ein Stück Fleisch gemopst und wollte es dir bringen. Jetzt habe ich es bei deiner Kiste liegen lassen.“ Sie sah traurig drein.
„Minki!“
„Diese Stimme kenne ich doch“, dachte sie, „Franzi!“ Minki miaute so laut sie konnte.
„Da bist du!“, rief Franzi erleichtert. Sie lief zu Minki und nahm sie sofort in die Arme. „Wo hast du gesteckt? Ich habe mir solche Sorgen gemacht.“ Sie drückte ihre Katze an sich. „Was machst du hier?“
Minki sprang aus ihren Armen, setzte sich vor Carlos Fenster und miaute.
„Ist das dein Freund?“
Minki schlich um Franzis Beine, dann sah sie zu ihrem Freund hoch.
Franzi nahm sie hoch und schaute sich den Kater an. „Ein schönes Tier“, sagte sie.
Minki streichelte mit ihrem Kopf über Franzis Arme. Sie schaute zu Carlo und miaute.
„Er ist dir bestimmt wichtig.“
Sie maunzte.
„Weißt du, Minki, das hier ist ein Katzenheim. Hier kommen Tiere hin, um die sich niemand kümmert.“ Franzi sah Carlo nachdenklich an. „Du bist weit gegangen und warst lange draußen in der Kälte. Und das für deinen Freund. Vielleicht sollten wir ihn adoptieren. Platz haben wir genug. Was denkst du?“
Minki strahlte Franzi an. Sie kuschelte sich in ihre Arme und schnurrte laut.